Wie wirkt eigentlich... Johanniskraut?

Was hat gelbe Blüten, färbt rot und hat mich beim Thema Medikationsmanagement im Studium ohne Ende genervt?

Prof. Dr. Thomé, via Wikimedia Commons

Richtig. Johanniskraut. Hergottsblut. Hypericum Perforatum.

Es hat wunderhübsche, durchlöchert-scheinende Blätter. Und die Blüten sind auch ganz nett anzusehen. (Praktischerweise gehört es auch noch in die Familie der Hypericaceae, der Johanniskrautgewächse. Macht das Lernen für die Bio-Klausur um einiges einfacher :D)

Traditionell wird Johanniskraut bei leichten bis mittelschweren Depressionen angewendet. Für letzteres seit 2009 aber nur noch mit Rezept vom Arzt. Also theoretisch. In der Praxis sind einige Firmen halt verschreibungspflichtig und andere halt nicht. Manche Firmen haben sowohl als auch auf dem Markt. Und einige sind sogar nur Nahrungsergänzungsmittel. Hat also wahnsinnig gut geklappt das mit der Regulierung…

Übrigens wurde Johanniskraut wegen seines Anwendungsgebiets in die Verschreibungspflicht genommen. Grade bei Depressionen sollte immer ein Arzt involviert sein, schon allein um zu kontrollieren, ob die Therapie auch Erfolg hat. Als Betroffener ist das nicht immer sofort ersichtlich. Die Verschreibungspflicht kommt nicht von ungefähr, auch wenn Johanniskraut im Vergleich zu vielen anderen Antidepressiva relativ harmlos ist. Aber mit der Grunderkrankung ist nicht zu spaßen, also lieber nicht lange rumprobieren mit rezeptfreien Arzneimitteln, sondern gleich einen Arzt um Hilfe bitten.

Wirkmechanismus

Tja, nun. Also es gibt sicher einen. Sonst würde es ja nicht wirken. Aber wie genau ist hier die Frage. Wahrscheinlich sorgt Johanniskraut dafür, dass unser Gehirn mehr Serotonin und Noradrenalin bekommt. Beides wichtige Stoffe für die Funktion unseres Gehirns. Außerdem wirkt es, untypisch für Antidepressiva, auch auf die Konzentrationen von Dopamin, GABA und L-Glutamat. Alles drei wichtige Botenstoffe für unseren Körper.

Was vielleicht aber noch wichtiger ist als die Frage nach dem „Wie“: WAS genau wirkt eigentlich?

Johanniskraut ist eine Pflanze. Es wird alles verwendet was oberhalb der Erde wächst, deswegen heißt die Arzneidroge (ja, so nennt man das. Bitte keine blöden Witze…) auch Hyperici herba: Johanniskraut-Kraut. In Tabletten ist meistens ein Extrakt aus dieser Pflanze enthalten. Also nicht einfach zerkleinerte, gepresste Pflanze, sondern die Pflanze wurde in Alkohol oder einem anderen Auszugsmittel eingelegt. Dadurch werden die Inhaltsstoffe quasi aus der Pflanze „rausgesaugt“, das Ganze trocknet man dann wieder und presst es dann (mit ein paar Hilfsstoffen) in eine Tablette. Aus der Pflanze kommt dabei aber nicht nur ein einziger Stoff raus, sondern je nach Art der Extraktherstellung mehrere verschiedene in verschiedenen Mengenanteilen. Und jetzt finde mal heraus was davon wirkt. Beziehungsweise im ersten Schritt: Finde erstmal raus was in diesem Extrakt alles drin ist! Das ist auch nicht besonders einfach. Zu viele einzelne Stoffe, die sich gerne gegenseitig auch noch bei den Nachweisen stören.

Bei Johanniskraut ist man sich mittlerweile ziemlich sicher, dass man die wirksamen Bestandteile gefunden hat: Hyperforin, Hypericin, Pseudohypericin und diverse Flavonoide. Einzeln wirkt allerdings keiner dieser Stoffe so gut wie das Gemisch aus allen zusammen, deshalb wird weiterhin eher das Pflanzen-Extrakt selbst benutzt. Aber die Wissenschaftler sind dran! Johanniskrautextrakt hat nämlich einige Wirkungen, die man mit chemischen Antidepressiva nicht erreicht. Wie schön wäre es da doch, wenn man einen chemisch definierten Wirkstoff hätte. Einen den man in großen Mengen schnell herstellen kann. Der nicht von so unordentlichen Dingen wie Sonnenlicht und dem Wetter abhängig ist. Einen den man vielleicht per Patent sogar schützen könnte. Mal ganz abgesehen davon, dass so ein schöner definierter Wirkstoff viel besser zu erforschen ist. Man kann ihn verändern und so die Wirkung verbessern. Oder Nebenwirkungen vermeiden…

Apropos Nebenwirkungen.

Die hat Johanniskraut natürlich auch. Allen voran macht es lichtempfindlich. Man bekommt schneller und heftiger Sonnenbrand. Gleiches gilt auch für Tiere, die Johanniskraut fressen. Nur das es bei Tieren noch wesentlich schlimmer kommen kann, grade wenn die Vergiftung nicht rechtzeitig bemerkt wird und die Tiere weißes Fell haben. Bei Pferden sieht man es häufig besonders eindrucksvoll, wenn ein eigentlich dunkles Fell einige weiße Stellen. Z.B. ums Maul rum oder an den Beinen hat. Dort bilden sich regelrechte Brandblasen.

Aber zurück zum Tier Mensch. Bei manchen Menschen beschwert sich auch der Magen und der Darm oder es führt zu Kopfschmerzen. Insgesamt meistens eher harmlose Sachen (außer man hat grade vor eine längere Nacktwanderung in der australischen Sonne zu machen. Dann sollte man vielleicht vorsichtshalber gleich in der nächsten Klinik mit Verbrennungszentrum Bescheid sagen.) Probleme bekommt man meistens dann, wenn man noch andere Medikamente nimmt.

Aber es ist doch pflanzlich?!

Naja, nur weil etwas aus einer Pflanze stammt, wird es nicht daran gehindert ein pharmakologisches Arschloch zu sein. Und Johanniskraut ist ein ziemlich großes Arschloch was Wechselwirkungen angeht. Deswegen seufzt die Apothekerin eures Vertrauens auch geistig schon, wenn ihr danach in der Apotheke fragt. Es fängt schon an, wenn man es vielleicht zusätzlich zu anderen Antidepressiva nehmen möchte. So als kleine pflanzliche Hilfe. Peripitus CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Keine gute Idee, dann kann es sein, dass der Körper plötzlich viel zu viel Serotonin hat. Und das kann dann sogar tödlich sein! Ja, auch wenn Serotonin ein körpereigener Stoff ist! Die Symptome umfassen so Highlights wie einen beschleunigten Puls, eine schnelle Atmung, Krampfanfälle und Halluzinationen. Nicht so wirklich toll. Wobei die Notaufnahme dann viel Spaß mit euch hat, das Serotonin-Syndrom ist nämlich eine von dieses Krankheiten, die keine wirklich eindeutigen „Hey, das MUSS XY sein“-Symptome hat. Man muss also erstmal jede Menge andere Sachen ausschließen. Und selbst, wenn man das getan hat, kann man meistens nur die Medikamente absetzen, überwachen und das Beste hoffen.

Naja, aber man nimmt ja keine anderen Antidepressiva. Dann wäre ja Johanniskraut ne gute Alternative. Wirkt schließlich bei leichten Depressionen und ist dann sogar rezeptfrei. Was ganz Sanftes eben.

Tja. Nun.

Johanniskraut ist aber auch ein Verstärker der CYP-Enzyme. Besonders von 3A4. Grade dem Enzym, was einen nicht unerheblichen Anteil an Medikamenten verstoffwechselt. (Stellt das jetzt bitte nicht in Frage. Ein Artikel zum Thema ist in Arbeit. Es ist kompliziert.) Zum Beispiel die Hormone aus der Pille. Oder Immunsuppressiva, die nach Organtransplantationen gegeben werden. Oder Blutdruckmittel. Oder die Tabletten gegen das Cholesterin. Die werden dann schneller abgebaut. (Oder schneller in ihre Wirkform überführt, je nachdem) Was das bedeutet? Schneller abgebaut heißt schneller aus dem Körper wieder raus. Heißt weniger Wirkung.

Aber das reicht Johanniskraut nicht. CYP 3A4 beeinflussen tun ja viele. Aber gleichzeitig auch noch das P-Glykoprotein stärken? Das ist nicht so mainstream und deswegen natürlich viel cooler. P-Glykoprotein ist ein Transporter, der fremde Stoffe aus unseren Zellen herausbefördert. Sehr praktisch, bei giftigen Stoffen. Nicht so praktisch bei hilfreichen Stoffen. Wie z.B. Krebsmedikamenten. Durch die Mithilfe von Johanniskraut werden die viel schneller als sonst aus der Zelle herausbefördert und haben so weniger Zeit um dort zu wirken. Hört sich nicht so cool an? Ist es auch nicht, wenn man darauf angewiesen ist. Aber grade bei Krebspatienten ist ein vermeintlich „sanftes“ und „natürliches“ Medikament eben auch schnell empfohlen.

Soweit alles verstanden?

Dann jetzt bitte alle im Chor:


Pflanzlich heißt nicht ungefährlich.

Pflanzen haben ganz schön was drauf.

Johanniskraut ist ein Arschloch, wenn es um Wechselwirkungen geht.

Johanniskraut ist absolut toll, wenn man es richtig und informiert anwendet.


Hintergrundbild Header: Michael H. Lemmer, CC BY-SA 2.5, via Wikimedia Commons

Kommentare