Wie wirken eigentlich... ACE-Hemmer?

Im Zusammenhang mit Covid-19 werden immer mal wieder ACE-Hemmer erwähnt. Am Anfang noch, weil Wissenschaftler Angst hatten, dass diese das Risiko von schweren Covid-19-Verläufen erhöhen. Mittlerweile eher aus dem Gegenteiligen Grund: Sie sollen sogar positiv wirken und das Risiko verringern. Bei Patienten mit Bluthochdruck, wohlgemerkt.

Wissenschaftliche Forschung in Aktion, meine Lieben!

Ich erkläre später noch genau was da „passiert“ ist, aber erstmal sollten wir finde ich kurz darüber reden, was ACE-Hemmer eigentlich sind. Wofür werden sie eingenommen? Wie wirken sie? Was sind so normalerweise die Nebenwirkungen? Und vielleicht ganz zu Beginn erstmal: Was zum f… ist bitte ACE?

ACE?!

Ganz eindeutig hemmen diese Stoffe natürlich die Aufnahme eines gewissen (sehr) orangenen Saftes mit den Vitaminen A, C und E.

Oder halt auch nicht. ACE steht in diesem Fall für das Angiotensin-Converting-Enzyme.

Angiotensin selbst gibt es in verschiedenen Formen. Praktischerweise hat man diese einfach mit römischen Zahlen durchnummeriert. Also fast alle. Es gibt da nämlich auch Angiotensin (1-7). Da hat das mit dem Durchnummerieren nicht so geklappt.

Über Angiotensins III, Angiotensin IV und Angiotensin (1-7) weiß man verhältnismäßig wenig. Vorallem nicht wie wichtig sie sind. Deswegen erwähnen wir sie einfach nicht weiter. Geschickt Wissenslücken kaschieren und so :D

Viel wichtiger sind Angiotensin I und Angiotensin II. Angiotensin II ist ein Stoff, der auf unseren Blutdruck wirkt. Also nicht direkt, das wäre ja zu einfach.

Vielmehr sorgt Angiotensin dafür, dass sich unsere Gefäße verengen. Dadurch steigt der Druck in den Gefäßen an. (Kann man übrigens sehr gut mit einem Gartenschlauch ausprobieren: Drückt man den Schlauch zusammen, spritzt das Wasser am Ende in einem festeren Strahl raus.) Außerdem wirkt es indirekt auch noch über weitere Wege auf unseren Blutdruck und erhöht ihn weiter (z.B. über erhöhte Aldosteronausschüttung, was wiederum zu mehr Natrium im Blut und daraus folgend mehr Blutvolumen und einen höheren Blutdruck führt.)

Also ganz grundsätzlich wäre es bei zu hohem Blutdruck also doch ganz nice, weniger Angiotensin II im Körper zu haben.

Angiotensin I hat dagegen keine Wirkung auf den Blutdruck. Oder überhaupt irgendeine bekannte Wirkung. Im Wesentlichen ist seine Aufgabe zu Angiotensin II abgebaut zu werden. Und durch welches Enzym? Na, ratet mal?

Dem Angiotensin-Converting-Enzym natürlich. Völlig unerwartet, nicht wahr? Zugegebenermaßen gibt es auch noch einige andere Enzyme, die das ebenfalls machen. Aber ACE ist definitiv der Haupttäter. Und damit ein idealer Angriffspunkt um den Blutdruck zu senken.

Als man im Gift der Jararaca-Lanzenotter einen Stoff fand, der eben dieses Enzym hemmen kann, wurde von Seiten der Pharma-Industrie relativ schnell die ganz großen Geschütze aufgefahren. Und auf der Basis des Gifts weiter geforscht. Bis man einen chemisch synthetisierbaren Stoff hatte, der genau diesen Effekt verursachte: Captopril.

Ausgehend von Captopril wurden im Laufe der Zeit eine ganze Reihe von anderen „Prilen“ auf den Markt gebracht. Sie gehören heute zu den am meisten verschriebenen Medikamenten gegen Bluthochdruck.

NEBENWIRKUNGEN


Allerdings haben sie natürlich auch einige Nebenwirkungen.

  1. Weil das ACE eben halt nicht nur Angiotensin I zu Angiotensin II umwandelt. Sondern auch Bradykinin und Substanz P (ja, die heißt so. Guck mal, hat sogar nen Wikipedia-Artikel!) abbaut. Bradykinin und Substanz P sind an Entzündungs- und Schmerzprozessen im Körper beteiligt.
    Wird das ACE gehemmt, haben wir mehr Bradykinin und Substanz P im Körper als eigentlich vorgesehen. Das kann z.B. einen trockenen Reizhusten auslösen. Eine häufige Nebenwirkungen von ACE-Hemmern. Es kann aber auch eine sehr seltene Nebenwirkung auslösen. Bei einem Angioödem schwellen plötzlich die Haut und Schleimhaut insbesondere im Gesichtsbereich an. Wenn dabei auch die Luftröhre zuschwillt, kann das lebensgefährlich sein. Vielleicht kennt ihr es aus den Beschreibungen von allergischen Schocks. Nur wird es bei Allergien nicht durch Bradykinin sondern durch seinen Verwandten Histamin ausgelöst.
  2. Das Aldosteron was durch das fehlende Angiotensin II nicht ausgeschüttet wird, hat neben einem gesenkten Blutdruck noch andere Effekte. Es sorgt normalerweise ja dafür, dass wir vermehrt Natrium aufnehmen. Um Natrium aufzunehmen wird im Gegenzug Kalium aus unserem Körper rausgeschleust. Behalten wir also weniger Natrium im Körper bedeutet das auch, dass wir mehr Kalium im Körper behalten. Und wie meistens ist „mehr als normal“ eine schlechte Nachricht für unseren Körper. In diesem Fall fängt es bei noch recht harmlosen Muskelzuckungen an und hört bei lebensgefährlichen Herzproblemen auf. Wenn man sich normal ernährt und keine anderen Medikamente nimmt, steigen die Kalium-Werte allerdings nicht so stark an, dass es Probleme gibt. Nur in Kombination mit anderen Medikamenten, die ebenfalls für mehr Kalium im Blut sorgen wird das zu einem echten Problem. Also immer Augen auf beim Medikamente kombinieren.

Ich würde dazu sagen: Typische Nebenwirkungen aus der Kategorie „Ja nun, war ja irgendwie klar, bei dem Wirkmechanismus“. Es ist halt eben unglaublich schwer in unserem Körper nur das Problem zu treffen mit einem Arzneistoff. Dazu sind unsere körpereigenen Systeme zu sehr vernetzt.

COVID-19

Und nun zurück zum Anfang. Oder vielleicht auch zurück ins Hier- und-jetzt. Denn unser aller liebster Coronavirus, Sars-CoV-2, hat ein bisschen Schwung in die Diskussion um diese sonst doch sehr gut etablierten Wirkstoffe gebracht.

Denn erstmal war sehr schnell klar, dass Bluthochdruck ein Risikofaktor für einen schweren Verlauf ist. Soweit jetzt erstmal nichts Besonderes. Covid-19 ist eine Multiorgan-Erkrankung, die auch das Herz angreift. Natürlich ist es da besser nicht schon vorher Probleme im Bereich Herz-Kreislauf zu haben.

Nun. Aber ratet mal wie dieses blöde Virus in unsere Zellen kommt? Über ACE-2. Denn ja, vom ACE gibt es gleich mehrere. Und beide Varianten schwirren nicht so ziellos in uns rum sondern sind in der Zellwand verbaut. Und an das ACE-2 bindet Sars-CoV-2 ganz wunderbar und kann sich so in unsere Zellen schleusen. Mehr ACE-2 bedeutet also potentiell mehr Viren in unseren Zellen.

Die Ausgangstheorie war jetzt, dass bei einer Einnahme von ACE-Hemmern vermehrt ACE-2 vom Körper produziert und eingebaut wird. Gehemmt wird nämlich nur das „normale“ ACE und diese Hemmung wird dann teilweise kompensiert mit mehr ACE-2. Wobei diese beiden Enzyme halt nicht wirklich vergleichbar sind von ihrem Wirkspektrum. Aber manchmal ist unser Körper da auch nicht ganz logisch.

Dann hat man bei nachträglichen Analysen auch noch herausgefunden, dass viele schwer an Covid-19 Erkrankte ACE-Hemmer nehmen. Und hier stellt sich dann die Frage: Ist das Zufall oder eine echte Korrelation? Oder wie in diesem Fall: Eine Korrelation über zwei Ecken. Denn das wurde jetzt durch weitere Studien bestätigt: Wie der Bluthochdruck behandelt wird macht kaum einen Unterschied, was die Schwere der Covid-19-Erkrankung angeht.

Die Schwere der Covid-19-Erkrankung korreliert nicht mit der Einnahme von ACE-Hemmern. Sondern mit Bluthochdruck als Vorerkrankung. Und viele Menschen mit Bluthochdruck nehmen einen ACE-Hemmer. Also gibt es viele schwere Verläufe bei Menschen die ACE-Hemmer nehmen. Mathe und so.

Es scheint sogar momentan so, als ob ACE-Hemmer vielleicht schützen. Aber es ist nicht so ganz klar wie. Vielleicht schützt einfach ein gut behandelter Bluthochdruck generell. Oder wir sind einem großartigen neuen Medikament gegen ein fieses Virus auf der Spur. Oder es ist alles nur ein statistisches Artefakt. Was auch immer eine Möglichkeit ist.

Ich bin auf jeden Fall gespannt was die weiteren Erkenntnisse in diesem Fall so sind. Das ist für mich das faszinierende an dieser Pandemie. Wissenschaft in Aktion zu sehen. Mit all ihren Fehlern und Problemen. Aber auch mit all ihren wunderbaren Heureka-Momenten.



Hintergrund-Foto des Headers von Pavel Danilyuk von
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