Arzneimittel für Kinder?

Zwei Kinder nehmen Medizin ein

Fangen wir vielleicht beim Offensichtlichen an.


Schonmal versucht einen Säugling dazu zu bringen eine Tablette zu schlucken? Oder versucht einem Kleinkind einen bitteren Saft einzuflößen?


Nicht so die besten Ideen. Für Kinder braucht man altersgerechte Arzneiformen. Tropfen, Säfte oder Zäpfchen bieten sich an. Für etwas ältere Kinder auch Lutschtabletten.

Kindgerechte Arzneiformen

Glycerol-Zäpfchen zum Abführen Shattonbury, Public domain, via Wikimedia Commons Zäpfchen sind bei Säuglingen noch ganz gut, aber ab einem gewissen Alter muss das Kind auch zustimmen. Nicht jedes Kind mag es ein Zäpfchen in den Hintern zu bekommen. Gibt ja auch genug Erwachsene, die diese Darreichungsform aus Prinzip ablehnen. Im Ausland muss man danach meistens gar nicht fragen, Zäpfchen sind etwas sehr Deutsches.


Bei allen Medikamenten die den Weg „obenrum“, d.h. durch den Mund nehmen, muss man immer auf den Geschmack achten. Tabletten für Erwachsene sind aus diesem Grund oft mit einem Schutzfilm überzogen. Die wenigsten Medikamente schmecken nämlich gut. Vielen sind blöderweise auch noch ausgerechnet bitter. Und Kinder schmecken bittere Stoffe wesentlich stärker als Erwachsene es tun. Als Konsequenz werden diese Stoffe gar nicht erst runtergeschluckt oder gleich wieder ausgespuckt.


Klassischerweise löst man das Problem mit Säften, die so penetrant süß nach Orange, oder gerne auch „Beere“ oder Kirsche schmecken, dass man nichts anderes mehr mitbekommt. Frei nach dem Motto: Einfach drauf mit dem Aroma. Mehr geht immer! (Mein Tipp: Zitrusfrüchte sind meistens die bessere Wahl. Das Aroma ist einfacher künstlich nachzubilden.)



Das Geschmacksproblem ist also bei diesen Säften so mehr oder weniger gelöst. Aber da kommen wir dann schon gleich beim nächsten Problem an: Wie entnimmt man die richtige Dosis?


Einige Säfte, sogenannte Trockensäfte, müssen vorher sogar erst noch angemischt werden. Eine Wissenschaft für sich. (Profi-Tipp: Fragt in der Apotheke gleich, ob die das für euch machen. Die können das! Und haben kein krankes Kind auf dem Arm dabei, ein enormer Vorteil.) Den fertigen Saft füllt man dann auf den Messlöffel. Oder den Messbecher. Ganz einfach, oder?


Wusstet ihr, dass man bei kleinen Mengen oft den Messlöffel etwas schräg halten muss, um richtig zu dosieren? Nämlich so, dass die Flüssigkeitskante rundum mit dem Dosierstrich übereinstimmt?

Messbecher bis zum 15ml Strich gefüllt Timothy W Ford, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons Und dass sowohl Messlöffel als auch Messbecher komplett leer sein müssen am Ende? Ja, auch dann, wenn der Saft eher die Konsistenz von Honig hat! Sonst stimmt die Dosis nämlich auch nicht.


Am besten dosiert man Säfte immer mit einer Spritze, teilweise ist die auch schon dabei. Oder man kauft einfach eine dazu. Wenn man die im Mund so auf Höhe der Backenzähne ausleert, ist der Geschmack des Saftes auch egal. Man reduziert also auch die Möglichkeit, dass der Saft gleich wieder oben aus dem Kind rauskommt.


Das ist noch so eine andere Sache. Wenn Kind Teile des Arzneimittels wieder ausspuckt, dann darf man nicht noch einmal die komplette Dosis geben. Sondern muss beim zweiten Versuch entsprechend weniger geben. Sonst hat man statt einer Unterdosierung plötzlich das gegenteilige Problem. Und das kann je nach Arzneistoff wesentlich schlimmer sein als etwas zu wenig.


Glücklicherweise wird fleißig an Alternativen zu den Standardarzneiformen geforscht.


Es gibt zum Beispiel einen Überzug für Tabletten durch den es einfacher ist diese zu schlucken. Besonders für ältere Kinder super, da kann so ein Überzug den Unterschied zwischen „Kann Tabletten schlucken“ und „Kann keine Tabletten schlucken“ ausmachen. Leider muss er in fast allen Fällen extra bezahlt werden… Oder vorher von der Krankenkasse genehmigt werden…


Vor ein paar Jahren gab es auch mal einen Strohhalm, der Antibiotika freigesetzt hat. Man musste diesen nur in ein beliebiges Kaltgetränk stecken und anfangen zu trinken. Das Antibiotikum war in den Strohhalm selbst integriert und fiel gar nicht auf. Leider haben auch hier die Krankenkassen lieber die Kosten für Säfte o.Ä. übernommen und es musste selbst bezahlt werden bzw. man musste teilweise selbst bezahlen und die Krankenkasse übernahm den anderen Teil… Das Medikament wurde vom Markt genommen, es lohnte sich wirtschaftlich einfach nicht.


Eine andere Alternative kennen viele vielleicht schon: Tabletten, die im Mund oder mit etwas Wasser auf einem Löffel zerfallen. Es gibt z.B. Vitamin D oder Fluor-Tabletten für Kinder mit diesem Prinzip.


E Kapseln mit Antibiotika-Granulat im Inneren National Institutes of Health, USA, Public domain, via Wikimedia Commons in weitere „neue, alte“ Möglichkeit sind Granulate. Dabei kann man den bitteren Arzneistoff mit einem Schutzüberzug versehen und bekommt am Ende eine Art grobes Pulver. So die Konsistenz von Schnee oder vielleicht Brotkrümeln. Solche Granulate sind oft im Kapseln für Erwachsene drin. Für Kinder gibt es dann z.B. Kapseln, die man aufmacht und den Inhalt anschließend einfach auf einen normalen Löffel gibt. Auch hier findet das deutsche Gesundheitssystem aber das man diese Idee nicht belohnen sollte und bezahlt dafür genauso viel wie für andere Arzneimittel, die genauso wirken aber von der Einnahme her nicht so elegant sind. *seufz*


So. Arzneimittel ist jetzt also drin im Kind. Und das sogar in der richtigen Dosierung. Da können wir jetzt also alle aufatmen.


Aber woher kennt man überhaupt die richtige Dosierung?

Kindgerechte Arzneistoff-Menge

Für die meisten Arzneistoffe gibt es keine Studien mit Kindern. Einerseits ist es schwierig die Zustimmung von Erziehungsberechtigten und Kind zu bekommen, andererseits ist es auch komplizierter die notwendigen Tests durchzuführen. Blutabnahmen oder Urinproben sind für Erwachsene meistens kein Problem, für Kinder schon. Da muss man versuchen anders zu testen, damit das Kind keine Probleme bekommt.


Glücklicherweise fordern die Zulassungsbehörden immer häufiger spezielle Kinderstudien, bei Neuzulassungen muss man in der EU mittlerweile sogar argumentieren, warum man keine Studien mit Kindern durchführt. Die Hersteller der zugelassenen Covid-19-Impfungen haben sich z.B. alle verpflichtet noch Studien mit Kindern und Jugendlichen zu machen. BioNTech/Pfizer hat sogar bereits welche durchgeführt, allerdings bisher nur an Jugendlichen.


Sowohl EMA (EU-Behörde) als auch FDA (US-Behörde) arbeiten dabei mit „Zuckerbrot und Peitsche“. Einerseits die Verpflichtung Kinderstudien durchzuführen. Andererseits bekommen Hersteller, die für Kinder entwickeln und Studien an ihnen durchführen längere Marktexklusivität garantiert.


Momentan wird oft noch einfach die Dosierung auf das Körpervolumen bezogen runtergerechnet. Das funktioniert mal mehr und mal weniger gut. Der Körper von Kindern funktioniert nämlich ganz anders als der von Erwachsenen.


Angefangen damit das der Magen-Darm-Trakt von Kindern andere Geschwindigkeiten und pH-Werte hat als bei Erwachsenen. Die Zusammensetzung der Darmbakterien ist auch eine andere. Also werden die Wirkstoffe teilweise gar nicht so vom Körper ins Blut aufgenommen wie bei Erwachsenen.


Außerdem haben Kinder eine andere Körperzusammensetzung als Erwachsene und noch dazu eine die sich teils stark ändert. Von hohen Fettanteilen bei Säuglingen über niedrige bei älteren Kindern zu „normalen“ bei Jugendlichen. Dazu kommt, dass Kinder generell mehr Wasser im Körper lagern als Erwachsene. Das muss alles beachtet werden, denn die Art und das Volumen des Gewebes, in dem sich der Arzneistoff verteilt hat, große Auswirkungen auf die Dosierung. Mit einem Vergleich des reinen Körpervolumens ist es da nicht getan, es ist halt auch ein Unterschied wieviel davon Fett, Wasser oder sonstige Körperbestandteile sind.


Noch dazu arbeiten bestimmte Enzyme noch nicht so schnell. Und die Leber ist zwar im Verhältnis zur Körpergröße größer als bei Erwachsenen, aber dafür funktionieren die Nieren noch nicht so gut. Das kann dazu führen, dass bestimmte Stoffe (je nach Stoffwechselweg) zu schnell oder zu langsam abgebaut werden. Deswegen dürfen Kinder kein Codein, ihr Körper baut es zu schnell zu Morphin ab und bekommt dieses dann nicht schnell genug aus dem Körper, um Atemprobleme zu vermeiden. Es gibt auch Erwachsene, bei denen das passiert, aber der Prozentsatz ist sehr niedrig.


Oh. Kennt ihr die Blut-Hirn-Schranke? Dieses Konstrukt, das verhindert, das Stoffe aus unserem Blut ungehindert ins Gehirn gelangen. Unser persönlicher Sicherheitsmechanismus. Tja. Bei Säuglingen und Kleinkindern ist die noch nicht ganz fertig. Loperamid, ein Durchfallmittel, darf deswegen erst ab 2 Jahren überhaupt abgegeben werden und bei Kindern unter 12 nur auf Rezept vom Arzt. Im Gehirn sorgt es nämlich für starke Müdigkeit und (potenziell tödliche) Atemprobleme.


Tja, gar nicht so einfach das Ganze, oder?


Deswegen ist es so wichtig, dass es mehr Studien gibt an Kindern. Um das Erfahrungswissen durch tatsächliche Evidenz zu ersetzen und errechnete Dosierungen durch tatsächlich erforschte Dosierungen.


Bei den meisten „üblichen“ Kinderarzneimitteln gibt es das glücklicherweise schon. Aber nicht jedes Kind hat „nur“ die üblichen Kinderkrankheiten, auch für diese Kinder muss es gute und sichere Arzneimittel geben.


Zäpfchenform Alcibiades, Public domain, via Wikimedia Commons

Übrigens: Manchmal werden in der Apotheke für Kinder auch spezielle Arzneimittel extra hergestellt. Weil es keine vernünftige Darreichungsform für Kinder gibt. Oder keine passende Dosierung. Oder das Kind besondere Anforderungen z.B. eine Magensonde hat. Das ist manchmal gar nicht so einfach, aber eine gern gesehene Herausforderung. Schließlich helfen wir damit (oft schwerkranken) Kindern und ihren Eltern.

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