Oder wie beweist man einer Behörde, dass ein Medikament wirksam, unbedenklich und von guter Qualität ist?
Das sind nämlich die drei Anforderungen, die das Arzneimittelgesetz an ein in Deutschland zugelassenes Medikament stellt. Eigentlich stellt jedes Land diese Anforderung an Medikamente, nur wie man es der zuständigen Behörde beweist ist unterschiedlich.Aber vielleicht erstmal von vorne.
Wir haben einen großartigen Arzneistoff entdeckt. Lebensrettend sogar. Und wir haben diesen Arzneistoff in eine verwendbare Form verarbeitet. Sagen wir, eine Tablette. Die klinischen Studien sind schon längst gemacht, alles läuft gut. Es fehlt nur noch die Zulassung.Die Zulassung ist die offizielle Erlaubnis ein Medikament herzustellen und in den Verkehr zu bringen. Also wichtig, hat man keine Zulassung ist man auch nicht besser als das Drogenlabor im Keller drei Häuser weiter. Und ganz besonders sind die hergestellten Tabletten ähnlich illegal. Also besser die Zulassung vorbereiten.Man muss - wie oben erwähnt – der zuständigen Behörde beweisen, dass man keinen Murks gebaut hat. Dafür muss man einiges an Informationen rausgeben, so ein richtiges, volles Zulassungsdossier füllt schon den einen oder anderen Ordner mehr. Glücklicherweise muss man heute zum Einreichen keinen LKW mehr mieten, sondern kann das Ganze entweder direkt online oder zu mindestens auf CD einreichen.
Aber was gehört da so rein?
Ich werde mich im folgendem am sogenannten eCTD-Format orientieren. Das ist ein Aufbau der unter anderem in den USA, Japan und der EU verwendet wird. Ländern, in denen man in einem komplett anderen Format seine Unterlagen einreichen muss, sind eher rar.Erstmal reisen wir aber nochmal in der Zeit zurück und meckern gleich zu Beginn der Entwicklung unseren Chefforscher an, weil er nicht ordentlich dokumentiert und überhaupt auch schon längst mit uns als Zulassungsdossier-Vorbereitenden hätte sprechen müssen. Denn für alle Beteiligten ist es am einfachsten, wenn bereits während der Entwicklung die Dokumente vorbereitet werden. Spart Nerven und Anrufe.Aber nun kann es los gehen. Ein eCTD besteht aus 5 Modulen, die müssen wir jetzt mit Informationen füllen.
Modul 1
Es wäre jetzt vielleicht sinnvoll mit Modul 1 anzufangen. Aber Modul 1 ist ausgerechnet das Modul, das länderspezifisch ist. Jedes Land möchte da etwas andere Informationen drin haben, angefangen davon, ob es reicht eine Textversion der Packungsbeilage einzureichen oder ob es eine fertige Druckvorlage sein muss. Grundsätzlich sind es überwiegend Verwaltungssachen, die dort angesprochen werden, z.B. auch bisherige Unterhaltungen mit der Behörde. Oder eben alles was halt eben sonst kein Land wissen möchte.Wir haben jetzt ja aber die Wunder-Pille entdeckt, die wollen wir ja nicht nur in Deutschland zulassen, sondern überall. Also macht es Sinn erstmal alle anderen Module auszufüllen. Und dann für jede Einreichung einfach nur regionalen Infos dazu zupacken. (Profi-Tipp: Man kann auch eine Zulassung für die gesamte EU beantrage bei der EMA, der europäischen Arzneimittel-Behörde. Spart man sich die Diskussion mit 27 einzelnen Behörden.)
Modul 2
Hier findet man Zusammenfassungen der restlichen Dossiers. Noch sowas was man eher am Ende machen sollte. Schließlich muss man das restliche Dossier erstmal geschrieben haben, damit es ein Experte zusammenfassen kann. Die Zusammenfassungen sind nach Themengebiet getrennt und ein Experte für klinische Studien fasst auch nur diese zusammen und nicht die Qualitäts-Themen.
Modul 3
Jetzt wird es richtig interessant. In diesem Modul wird die Herstellung des Wirkstoffs und des Endprodukts beschrieben und auch wie dabei was getestet wird, um sicher zu gehen, dass alles richtig läuft. Das auffällt, wenn irgendwelche Verunreinigungen drin sind. Oder jemand aus Versehen die falsche Packung weißen, kristallinen Stoffs in den Kessel gekippt hat. Damit weist man die Qualität des Arzneimittels nach, in diesem Modul fallen auch die meisten Änderungen an im Laufe der Zeit. Da wird eine Testmethode geändert oder der Lieferant zieht um oder das dämliche Arzneibuch benennt die verwendete Testmethode um. Solche Dinge halt, schließlich ist die Herstellung ein laufender Prozess, der sich in sehr engem Rahmen auch verändert. Und solche Änderungen muss man natürlich erstmal der Behörde zeigen, bevor man sie umsetzen kann.
Modul 4
Studienberichte. Endlich! Den ganzen Laborkram kann ja auf Dauer keiner aushalten.Tja. Nun. Leider erstmal nur die Nichtklinischen Studienberichte. Dabei geht es um die Studien, die vor den ersten Tests an Menschen durchgeführt wurden. Oft leider immer noch teilweise Tierversuche, die sind manchmal einfach nicht zu vermeiden. Auch wenn z.B. die EMA in dem Zusammenhang die drei Rs fordert: Replacement, Reduction, Refinement. Man soll also Tierversuche entweder ganz durch andere Methoden Ersetzen, oder – wenn das nicht möglich ist - zumindestens die Tierversuche soweit wie möglich reduzieren und so verbessern, dass die Tiere möglichst wenig leiden. Alternativen sind z.B. Zellkulturen, aber da wir eben nicht nur ein unorganisierter Zellhaufen sind, haben die auch Grenzen. Glücklicherweise wird aber beständig daran geforscht neue Alternativen zu finden.
Modul 5
Hier findet man alles zu den Versuchen an Menschen. Von den anfänglichen Studien zur Verträglichkeit über die Dosisfindung bis hin zu den großen Phase III Studien, die beweisen, dass unser Medikament auch wirkt. Da natürlich nicht nur einfach die Ergebnisse dargestellt werden, sondern auch gezeigt wird, dass alles mit rechten Dingen abgelaufen ist kann alleine dieses Modul mehrere tausend Seiten aufweisen.Merkt ihr jetzt warum es einfach ist die Unterlagen recht früh anzufangen zu erstellen? Wenn nach jeder klinischen Studie, nach jeder Validierung, nach jedem anderen Versuch gleich die entsprechenden Dossierelemente geschrieben werden, geht es am Ende viel schneller. Trotzdem ist der Job in der Zulassung trotzdem immer einer des Hinterherlaufens. Bis alles an seinem Platz ist, dauert es einfach.Und dann reicht man es ein bei der Behörde, bekommt im besten Fall eine Genehmigung (Oder Rückfragen. Meistens erstmal Rückfragen…) und kann dann eigentlich schon gleich anfangen die ersten Änderungseinreichungen vorzubereiten. Weil die Qualitätskontrolle sich ein neues Analysengerät anschaffen will und damit die alte Gehaltsbestimmung nicht mehr geht. Oder weil die so schön beschriebenen Flaschen plötzlich nicht mehr hergestellt werden. Oder der Hersteller von irgendeinem Hilfsstoff ist umgezogen und die neue Adresse muss gemeldet werden. Oder Gesetze wurden geändert und man muss die Zulassung entsprechend anpassen. Z.B. mit einer Seriennummer und einem tollen 2D-Code auf jeder Packung. Ja. Auch sowas muss man melden. Selbst einen Kommafehler muss man offiziell bei der Behörde korrigieren! In Deutschland aber immerhin nur melden und nicht noch auf Genehmigung warten xD
Wie lange dauert es denn so eine Genehmigung zu bekommen?
So ein halbes Jahr bis Jahr muss man da schon kalkulieren. Das zentrale Verfahren der EMA hat festgelegte Timelines. Wenn beim ersten Einreichen alles passt, kann man theoretisch nach 120 Tagen seine Zulassung in den Händen halten. Das Ganze kann sich mit mehreren Rückfrage-Runden aber bis zu 277 Tagen hinziehen. Und da sind nur die Tage eingerechnet an denen die Behörden aktiv daran arbeiten bzw. man auf den Bescheid der Kommission wartet. Die Rückfragen muss man ja schließlich auch beantworten und braucht dafür Zeit, die ist aber nicht mit eingerechnet in die 277 Tage.
Und was, wenn man einen Covid-19 Impfstoff entwickelt hat?
Dann muss man das Verfahren auch durchlaufen, nur ist man bei den Behörden Priorität Nummer 1 wodurch alles etwas schneller geht.Normalerweise müssen bei der Einreichung eines Zulassungsdossiers alle Dokumente vollständig sein. Für die Covid-19-Impfstoffe, die grade in der Erprobung sind, werden jedoch bei der FDA (der US-amerikanischen Behörde) und der EMA besonderes Einreichungsverfahren genutzt. Die sind extra für Arzneimittel und Impfstoffe gedacht, die besonders schnell zugelassen werden müssen. Zum Beispiel, weil die Welt grade in einer Pandemie steckt und wir dringend einen Impfstoff brauchen.Dabei ist der Hersteller in viel engerem Kontakt mit den Behörden als normalerweise. Es werden schon während des Entwicklungsprozesses viele Fragen an die Behörde gestellt. Und eben auch schon fertige Dokumente zur Begutachtung eingereicht obwohl noch nicht alles fertig ist. Anfang Oktober haben BioNTech und Pfizer die ersten Dokumente bei der EMA eingereicht und momentan (14.11.2020) läuft ja noch die Phase 3 Studie.So wird dafür gesorgt, dass die Gutachter der Behörde sich nach der Einreichung nicht einem riesigen noch ungesichteten Dokumentenberg gegenübersehen. Zusammen mit der Tatsache, dass für die finale Einreichung der Zulassung wahrscheinlich diverse Mitarbeiter der EMA und FDA alles andere stehen und liegen lassen werden, sorgt dies dafür, dass die Einreichung sehr schnell bearbeitet wird.Angesichts der Brisanz dieser Zulassung werden die Behörden aber sicher trotz aller Eile sehr genau hinsehen. Denn die Möglichkeit, dass eine schlimme Nebenwirkung übersehen wird, ist sicher keine besonders verlockende Aussicht. Dafür würde es in Jahrzehnten noch Kritik hageln. Das es in Deutschland vor Contergan kein wirkliches Zulassungsverfahren gab, wird dem BfArM ja gerne auch manchmal noch vorgeworfen. Dabei war das BfArM damals noch gar nicht gegründet…
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