Zitat
Die Art aber des Ausfahrens ist diese: Wie sich nämlich aus dem Vorhergehenden ergeben hat, haben sie sich eine Salbe aus den gekochten Gliedern von Kindern, besonders solcher, die vor der Taufe von ihnen getötet worden sind, zu bereiten und nach der Anleitung des Dämons damit irgendeinen Sitz oder ein Stück Holz zu bestreichen, worauf sie sich sofort in die Luft erheben
Der Hexenhammer – Jakob Sprenger und Heinrich Institoris
(dt. Übersetzung 1923 von J. W. R. Schmidt erschienen im Verlag Hermann Barsdorf)
Ähm. Also mit toten Menschen habe ich es jetzt nicht so. Aber diese Hexen- oder Flugsalben sind ziemlich faszinierend. Also die aus dem Hexenhammer ist vor allem irgendwie gruselig. Aber das passt ja zu Halloween. In diesem Beitrag soll es um die Variante mit Pflanzen drin gehen. Die führt auch zu Toten, aber eher auf Seiten der Anwender und nicht um Zutaten zu beschaffen.
Mit einem haben die Herren Sprenger und Institoris aber auf jeden Fall Recht: Zum Herstellen einer Salbe braucht man irgendeine Form von Fett. Ein bisschen Vaseline tut es aber auch, da muss man nicht gleich Kinder für kochen. Vaseline kaufen ist auch viel weniger illegal.
Je nachdem wo man nachschaut wurden diese Salben entweder auf den Flugobjekten aufgetragen oder direkt auf die Haut der Hexe. Dass eine Salbe auf einem Besen wenig bringt, nehme ich jetzt einfach mal an. Also geht es eher um das Auftragen auf der Haut.
Aber was ist jetzt drin in diesen Salben?
Nun. Diese Frage hat sich als schwierig erwiesen. Mein Ausgangspunkt für diesen Beitrag ist eine Rezeptur, die in einer Vorlesung in der Uni vorgestellt wurde. Leider habe ich keine anderen konkreten, historischen Rezepturen finden können und konnte auch diese nicht verifizieren, da ich keinen Zugriff auf das Buch (Magia Metachemica, 10. Brief der „Magischen Briefe“) habe, in dem sie, laut meinem Uniskript, erwähnt wird. Aber ich vertraue der Professorin jetzt mal, dass sie keinen Quatsch erzählt.
Generell ist es ein Problem Pflanzen aus dieser Zeit zu identifizieren. Das heute gebräuchliche System zur Benennung von Pflanzen existiert erst seit Mitte des 18. Jahrhunderts, vorher gab es oft keine einheitlichen Namen für Pflanzen und teils trugen verschiedene Pflanzen sogar den gleichen Namen. Selbst wenn die für diese Salbe benutzten Pflanzen benannt wurden, bringt es uns heute also nur bedingt weiter. Deswegen würde ich alle angeblichen Rezepte für solche Flugsalben mit sehr viel Skepsis betrachten, mal abgesehen davon, dass die Menschen, die sie aufschrieben oft Inquisitoren oder Ärzte waren. Erstere hatten nicht unbedingt Ahnung von Pflanzen und letztere haben vielleicht die Salben eher so aufgeschrieben, wie sie es aufgrund der Wirkung für sinnvoll hielten. Volksmedizin muss jetzt aber nicht unbedingt pharmakologisch sinnvoll sein.
Ein Hauptinhaltsstoff dieser Salben sollen auf jeden Fall Pflanzen aus der Familie der Solanaceae oder Nachtschattengewächse sein. Diese Familie umfasst von Kartoffeln über Tabak bis zur Tollkirsche mehr als 1000 Arten, nicht wenige davon ganz oder teilweise giftig. In „meiner“ Flugsalbe sind sowohl die schwarze Tollkirsche (Atropa belladonna), das schwarze Bilsenkraut (Hyoscyamus niger) als auch der schwarze Nachtschatten (Solanum nigrum) erwähnt. Die ersten Beiden haben dabei den gleichen giftigen Inhaltsstoff (Hyoscyamin) und können unter anderem Halluzinationen auslösen. Allerdings auch Atemlähmung. Was jetzt nicht so gut ist. Atmen ist bekanntlicherweise ja ziemlich gesundheitsfördernd und verlängert das Leben.
Im Nachtschatten selbst ist allerdings vor allem Solanin enthalten, das weniger zu Halluzinationen führt als schlicht und ergreifend zum Zelltod. Je nach Menge ist das Resultat dann entweder Übelkeit oder sogar der Tod. Allerdings sind die reifen Beeren des schwarzen Nachtschattens nicht mehr besonders giftig. Und in einigen Kulturen werden die Blätter nach besonderer Zubereitung als Gemüse gegessen. Leider konnte ich keine Informationen finden, ob Solanin auch über die Haut aufgenommen wird. Hyoscyamin wird auf jeden Fall auch über die Schleimhäute aufgenommen.
Nachtschattengewächse sind wie gesagt schon recht giftig. Aber das ist nichts gegen den blauen Eisenhut (Aconitum napellus), die vielleicht giftigste einheimische Pflanze. Auf die Haut aufgetragen würde sie erst zu einem Wärmegefühl und Prickeln führen und später dann zu einem Taubheitsgefühl und Lähmungen. Wird die Pflanze gegessen führt sie - wie auch Tollkirsche und Bilsenkraut - zum Tod durch Atemlähmung.
Folia Malvae heißt es so mysteriös. Das sind Malvenblätter, allerdings wird nicht gesagt von WELCHER Malve. In der Pharmazie werden heute die wilde Malve und die Weg-Malve genutzt, sowohl Blätter als auch Blüten und zwar gegen Husten und Magen-Darm-Beschwerden. Sie sind jetzt nicht so gefährlich, ihre Wirkung beruht auf den enthaltenden Schleimstoffen. Diese bilden einen beruhigenden Schutzfilm. Nun. Es gibt Berichte wonach diese Salben auf die Schleimhäute aufgetragen worden sind, da ist vielleicht so ein bisschen Beruhigung gar nicht schlecht.
Kriechendes Fingerkraut (Potentilla reptans) und seine nahe Verwandte die Blutwurz (Potentilla erecta) sind sogenannte Gerbstoff-Drogen. Sie können gegen Durchfall oder zur Behandlung von Wunden verwendet werden. Außerdem hat die Blutwurz im Labor eine antimikrobielle Wirkung gezeigt. Also wurde es vielleicht genutzt um die Salbe länger haltbar zu machen. Irgendwelche Halluzinationen ruft sie auf jeden Fall nicht hervor.
Auf jeden Fall einen berauschenden Effekt hat Schlafmohn (Papaver somniferum), schließlich wird daraus Opium hergestellt. Dieser Effekt ist auch schon seit dem Altertum bekannt. Auf jeden Fall hätte es zu einer Schmerzlinderung und wahrscheinlich auch zur Bewusstlosigkeit geführt. Aber auch Opium hat Nebenwirkungen z.B. auch eine Atemlähmung.
Und weil so gar nicht giftige Pflanzen ja langweilig sind: Der gefleckte Schierling (Conium maculatum) hat hier auch einen Auftritt. Mit seinem Gift wurden früher Menschen hingerichtet z.B. Sokrates. Es ist nicht nett, es schädigt bei vollem Bewusstsein das Nervensystem und führt am Ende zur Atemlähmung. Wie gesagt: Bei vollem Bewusstsein. Und es wird über die Haut gut aufgenommen. Was für alle anderen hier erwähnten Pflanzen nicht unbedingt gelten muss.
Last but not least: Die Christrose. Helleborus niger. Ja, diese Pflanze ist giftig. Sie enthält nämlich Stoffe, die auf das Herz wirken. Eine zu große Dosis kann zu Herzrhythmusstörungen führen, was wiederum tödlich sein kann.
Eine andere Quelle für die Zusammensetzung der Hexensalbe, die ich gefunden habe ist Gerolamo Cardano. Die von ihm erwähnte Salbe enthält unter anderem Sellerie (nein, nicht besonders giftig), Eisenkraut (wirkt schon irgendwie, ist aber nicht giftig) und Mutterkorn (ruft ziemlich heftige Halluzinationen hervor und war der Ausgangspunkt für die Synthese von LSD).
Hmm. Also ich möchte jetzt nicht abstreiten, dass diese Salben zu gewissen Halluzinationen führen. Grade wenn sie auf die Schleimhäute aufgetragen wird. Aber ich würde sie jetzt nicht ausprobieren wollen. Wie oben gesagt: Atmen ist generell recht förderlich für die Lebenserwartung. Und bei fünf Pflanzen, die alle potentiell dazu führen, dass mein Körper nicht mehr atmet… Nun. Ich bleibe lieber auf der sicheren Seite und bemühe einfach mein Vorstellungsvermögen, was den Flug zum Blocksberg angeht.
Weitere Informationen?
Ich habe bei der Recherche einen recht guten Artikel gefunden:
A study in Renaissance psychotropic plant ointments
Kostenlos verfügbar, allerdings teilweise recht schwierig zu lesen. Die Autoren schreiben auch ausführlich über die Schwierigkeiten mittels alter Pflanzennamen eine bestimmte Pflanze zu identifizieren.