Von Cortison hat ja jeder schon einmal was gehört. Spätestens seit die Medien Dexamethason im Juni 2020 als DEN heißen Scheiß gegen Covid-19 verklärt haben.
Als Fachmensch spricht man übrigens nicht von Cortison sondern von Glucocorticoiden, Cortison selbst ist einfach nur eins von vielen und noch dazu sogar eine inaktive Form! In unserem Körper wirkt nämlich Cortisol.
Kleines Suchbild gefällig? Wie unterscheiden sich die beiden eigentlich von einander, seht ihr den Unterschied?
Der Unterschied ist im dritten der Sechsecke zu finden, am C11 wie der Chemiker sagen würde. Statt einer Hydroxy-Gruppe(das ist das OH, ein Sauerstoff und ein Wasserstoff zusammen) hat Cortison dort ein Keton, ein doppelt gebundenes Sauerstoffatom. Ein kleiner Unterschied, aber einer der für unseren Körper einen riesigen Unterschied macht.
Cortison und Cortisol sind körpereigenen Stoffe, die restlichen Glucocorticoide sind nach ihrem Vorbild künstlich hergestellt worden. Und möglichst so, dass sie – je nach Anwendungsgebiet – viel Wirkung und wenig Nebenwirkung haben. Wobei viele der Nebenwirkungen nun einmal nicht umgangen werden können, da sie eigentlich nur Nebeneffekte der Hauptwirkung sind. Und die wegzulassen würde jetzt ja auch niemanden weiterbringen.
Glucocorticoide wirken gegen Entzündungen, allergische Reaktionen und sie unterdrücken das Immunystem. Alles wichtige Wirkungen, die teilweise lebensrettend sein können. Auch wenn Glucocorticoide nie die Ursache bekämpfen sondern immer nur die Symptome.
Aber vielleicht erstmal zurück zum Anfang:
Körpereigenes Cortison
Unser Körper produziert täglich Cortisol und das teilweise gar nicht mal so wenig. Ohne Cortisol hätten wir echte Probleme, grade in Stresssituationen sind die Effekte unglaublich wichtig.
Hergestellt wird es in der Nebennierenrinde. Die Nebennieren sind übrigens diese Blöpsis oben auf den Nieren, in ihnen werden diverse wichtige Hormone hergestellt. Im Mark d.h. dem Inneren der Nebenniere liegen die Produktionsstätten für Adrenalin und Noradrenalin. Die Rinde liegt außen und produziert neben Cortisol auch noch einige andere Steroidhormone.
Wenn die Nebennierenrinde nicht mehr genug Hormone produziert oder sogar ganz ausfällt, gibt man den Patienten übrigens tatsächlich „ganz normales“ Cortisol um das wieder auszugleichen.
Aber was tut Cortisol denn jetzt?
Im normalen Alltag fördert Cortisol den Eiweißabbau und damit die körpereigene Glucose-Produktion, wodurch es natürlich einen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel hat. Daneben hat es auch Einfluss auf den Fettabbau und die Spiegel von Natrium, Kalium und Calcium. Und zwar überwiegend über eine Verstärkung der Wirkung von Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin. Grade in körperlichen Stresssituationen ist das enorm wichtig.
Und damit sind wir auch schon direkt bei der zweiten Situation. Was wenn der Körper in einer Stresssituation ist? Nicht nur psychischer Stress ist hier gemeint sondern auch Verletzungen und Krankheit. Die stressen den Körper nämlich auch. Und der produziert dann ein Vielfaches der normalen Menge an Cortisol.
Was dazu führt, dass das Zellen und Gewebe in ihrem Wachstum gehemmt werden. Die Durchblutung verbessert wird und die Zahl der Thrombozyten/Blutplättchen zunimmt, damit eine effektive Gerinnung stattfinden kann. Außerdem ist das Gehirn leichter zu erregen und „unwichtige‘ Funktionen, wie z.B. die von Hoden und Eierstöcken werden runtergefahren.
Aber Cortison ist doch Böse?!
Wahrscheinlich erscheint grade geistig ein Bild vor dir von einem Menschen mit extrem dünner Haut und einem aufgedunsenen, rötlichen Gesicht, der noch dazu ein wenig viel Fett im Bauchbereich hat und kaum Muskeln.
Oder vielleicht auch nicht.
Diese Vorstellung trifft auf jeden Fall ganz gut die Hauptsymptome des Cushing-Syndroms. Das kann durch eine länger andauernde Gabe von hochdosierten Glucocorticoiden ausgelöst werden. Oder durch bestimmte Tumoren. Denn auch unser Körper kann mit seiner Cortisol-Produktion übers Ziel hinausschießen.
Und ja: Glucocorticoide haben Nebenwirkungen, sie greifen halt in sehr viele Prozesse in unserem Körper ein. Und jeder Stoff mit einer Wirkung hat auch eine meist unerwünschte Nebenwirkung. Oder mehrere. Aber Glucocorticoide sind eben auch in sehr vielen Situationen unglaublich wichtig, von Allergien, Asthma und Hauterkrankungen über rheumatische Erkrankungen bis hin zur Linderung von Erbrechen während/nach einer Chemotherapie.
Unser Körper stellt übrigens morgens zwischen etwa 6 und 9 Uhr am meisten Cortisol her, gegen Mitternacht am wenigsten.
*Hier wahnsinnig lustigen Witz über die Stresssituation Aufstehen einfügen *
Deswegen sollte man möglichst Glucocorticoide immer gleich morgens nach dem Aufstehen nehmen. Der Körper ist da ja schon auf eine Cortisol-Wirkung vorbereitet wodurch die Nebenwirkungen weniger stark werden. Besonders die Gefahr, dass der Körper beschließt, dass er ja selbst kein Cortisol produzieren muss, wenn wir es ihm so liebenswerter Weise in Tablettenform geben.
Wenn man länger als einige Tage Glucocorticoide genommen hat muss man trotzdem die Dosis langsam reduzieren, damit der Körper sich wieder an das Leben ohne Tabletten gewöhnt.
Warum Glucocorticoide bei Entzündungen?
Glucocorticoide hemmen das Immunsystem und zwar sowohl das angeborenen als auch das erworbene (Wie das Immunsystem funktioniert beschreibe ich später vielleicht mal in einem eigenen Artikel, aber die Details sind hier grade eh nicht ganz so wichtig). Auch entzündungvermittelnde Stoffe werden nicht mehr bzw. sehr viel weniger als normal hergestellt.
Bei einer Entzündung geht das Glucocorticoid also gar nicht gegen die Ursache vor sondern es verhindert, dass unser Körper auf die Ursache mit einer Entzündung reagiert.
Bei einer Infektionskrankheit jetzt nicht so geil, weil wir die Infektionsursache ja eigentlich loswerden wollen. Wenn der Körper aber völlig überreagiert z.B. bei einer Allergie, sind Glucocorticoide quasi die Medikamentenvariante von einem „Chill mal!“. Ziemlich praktisch.
Warum Cortison bei Asthma?
Bei Asthma wird dieser „Chill mal“-Effekt aufs Immunsystem ebenfalls ausgenutzt, denn im Wesentlichen reagiert die Lunge da ja auch etwas sehr extrem mit einer Entzündungsreaktion.Meistens werden bei Lungenkrankheiten Glucocorticoide als Sprays zum Inhalieren eingesetzt. Teilweise werden die verwendeten Glucocorticoide sogar erst in der Lunge durch spezielle Enzyme aktiviert. So kann man Nebenwirkungen vermeiden.
Übrigens der Profitipp für Glucocorticoid-Sprays: Vor dem Essen inhalieren, das reduziert mögliche Heiserkeit und das Risiko für Pilzinfektionen im Mund. Warum? Weil eventuelle Reste des Sprays im Mund mit dem Essen und Trinken runtergespült werden.
Glucocorticoide und Hautärzte
Glucocorticoide sind übrigens des Hautarztes bester Freund. So gefühlt auf jeden Fall.
Für die Anwendung auf der Haut werden Glucocorticoide sogar nach Wirkstärke in vier Klassen eingeteilt und bekommen einen therapeutischen Index, der das Verhältnis von Wirkung zu Nebenwirkung beschreibt.
Meistens werden sie wegen ihrer entzündungshemmenden Wirkung benutzt, aber auch die Tatsache, dass Glucocorticoide juckreizstillend sind sollte man nicht verachten.
Wie viel von dem Glucocorticoid über die Haut in den Körper aufgenommen wird hängt davon ab in welcher Form es auf die Haut kommt. Cremes, Salben, Gele, Lotionen, Pflaster… Jede Form hat dabei Vor- und Nachteile.
Überwiegend bleibt der Wirkstoff aber auf oder in der Haut, nur wenig schafft es bis ins Blut. Schließlich ist unsere Haut dafür da, damit Stoffe aus unserer Umwelt nicht so einfach in unseren Körper gelangen. Nur bei sehr starken Glucocorticoiden, die auf einer großen Fläche angewandt und mit einem Luft- und Wasserdichtem Verband abgedeckt werden, kommt es zu Wirkungen, die den ganzen Körper betreffen.
Wieso gibt man schwangeren Glucocorticoide?
Und Glucocorticoide können noch was: Die Lungenreifung von Ungeborenen beschleunigen.
Das ist besonders wichtig, wenn Baby meint, dass es ungerne zu spät kommen würde und stattdessen einfach mal viel zu früh auf die Welt kommt. Im Bauch braucht das Baby ja die Lunge noch nicht, deswegen wird die in ihrer Funktion erst ziemlich zum Schluss fertig gestellt. Es fehlt Surfactant, ein überwiegend aus Fetten und Eiweißen bestehender Stoff, der dafür sorgt, dass in unserer Lunge überhaupt ein effektiver Gasaustausch stattfinden kann. Und den Babys erst etwa ab der 24. Schwangerschaftswoche anfangen zu produzieren und meist noch bis zur 34. Schwangerschaftswoche viel zu wenig davon haben um vernünftig atmen zu können.
Wenn eine Frühgeburt wahrscheinlich ist, gibt man der Mutter deswegen Betamethason (oder ein anderes Glucocorticoid). Das sorgt dafür das (u.a.) vermehrt Phospholipide gebildet werden, eine Art Fett, dass einen großen Teil des Surfactants ausmacht. Außerdem werden auch mehr der Eiweiße gebildet, die im Surfactant vorhanden sind. Damit Baby auch gleich von Minute eins an Luft bekommt.
Und damit möchte ich diesen Artikel auch beenden. Über Glucocorticoide könnte man wahrscheinlich ein ganzes Buch schreiben und hätte immer noch nicht alle Facetten erfasst. Aber irgendwie muss man ja auch Prioritäten setzen und dieser Beitrag erfasst die Sachen, die ich am interessantesten fand. Ich bin keine Expertin für Glucocorticoide, aber ich habe versucht diesen Artikel ohne Fehler zu schreiben. Wer einen findet darf gerne Bescheid sagen und mir das Ganze genauer erklären.
Hintergrund des Titelbilds: Karolina Grabowska via Pexels